Predigt am 6. Sonntag der Osterzeit

Liebe Mitchristen,

während meines Theologiestudiums habe ich nie gehört, wie ich später in der Pfarrei mit einer Virus-Pandemie umgehen soll. Und ich denke, dass es vermutlich Ihnen allen während Ihrer Berufsausbildung oder Ihres Studiums auch so ergangen ist. Wir sind zurzeit sowohl in unserer Kirche als auch in der Gesellschaft in einem Lernprozess, wie wir mit den Folgen des Corona-Virus umgehen sollen. Ich spüre das auch im Team unserer hauptamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Wir machen uns jede Woche – manchmal jeden Tag – viele Gedanken, wie wir bei den Gottesdiensten und in der Seelsorge alles bestmöglich gestalten können.

Mir persönlich kam der Gedanke, dass wir zurzeit eine „lernende Kirche“ sind. Und dieser Gedanke gefällt mir immer besser. Gehört es denn nicht zu dem, was viele Leute abschreckt, dass sie die Kirche zu sehr als „lehrende Kirche“ wahrnehmen. Eine Kirche, die immer weiß, wo es lang geht. Bischöfe und Pfarrer, die von Oben herab und be-lehrend auftreten, die eh immer alles besser wissen…

Wir brauchen heute eine Kirche, die selber lernt und in der auch alle, die Verantwortung tragen, lernfähig sind. Bischöfe und Priester, die zunächst mal hinschauen und zuhören. Eine Kirche, in der die Leute nicht einfach verurteilt werden, sondern drauf geachtet wird, die Leute zu verstehen und ihnen zu helfen. Eine Kirche, in der möglichst viele sich auch von neuen und ungewohnten Wegen überraschen lassen.

Immer wieder taucht in den Evangelien das Wort Jünger auf – so auch heute. „Jesus sprach zu seinen Jüngern“ heißt es da. Wenn man das entsprechende griechische Wort ganz wortwörtlich übersetzt, dann heißt es Schüler, Lehrling. Jünger sind also Menschen, die bei Jesus in die Lehre gehen. In den Evangelien ist das oft ganz wortwörtlich zu verstehen. Die Jünger gehen bei Jesus in die Lehre. Sie gehen mit ihm mit, sie folgen ihm nach. Im Mitgehen mit Jesus erfahren sie etwas über Gott. Sie erfahren, dass Gott nicht der kleinliche Erbsenzähler ist, der nur ständig darauf schaut, wo jemand was falsch macht. Sie erfahren auch, dass sich Gott nicht einfach in ein Gebäude einsperren lässt oder unsere Opfer braucht, um zufrieden gestellt zu werden. Sie hören von Jesus, wie er von seinem Vater spricht – dem Gott, der immer größer ist als all unsere Gedanken. Dem Gott, der uns aber trotzdem so nahe ist. Und die Jünger erfahren unterwegs – beim Gehen mit Jesus – dass Gott es gut mit uns Menschen meint. Sie sehen am Umgang Jesu mit den Sündern, dass Gott uns immer wieder eine neue Chance schenkt. Und sie erfahren – besonders auch durch die Passion und durch Ostern hindurch – dass Gott uns auch durch schwierige Zeiten hindurch begleitet.

Liebe Schwestern und Brüder, wir dürfen uns Christen nennen. Damit sind wir alle Jüngerinnen und Jünger Jesu. Seit unserer Taufe gehen wir bei IHM in die Lehre. Wir alle gehen bei Jesus in die Lehre – Sie und auch ich, die Bischöfe und auch der Papst. Wenn wir offen sind für den Geist, den Jesus uns versprochen hat, dann können wir jeden Tag dazu lernen. Dabei können besonders die schwierigen Zeiten auch zu ganz intensiven Lernzeiten im Glauben werden. Deshalb ist es wichtig, dass wir immer vertrauter werden mit den Worten und Taten Jesu. Die vier Evangelien sind dabei unser wichtigstes Lehrbuch. Dieses Evangelium begegnet uns aber auch in den Menschen von heute – in ihren Fragen, in ihren Anliegen und in ihren Sorgen.

Liebe Mitchristen, wir haben die Berufung, eine lernende Kirche zu sein. Eine Kirche, die von Jesus lernt und die auf das schaut, was die Menschen heute brauchen. Eine Kirche, die nicht nur die alten und ausgetrampelten Wege geht. Vielmehr eine Kirche, die das Abenteuer wagt, auch neue Wege zu suchen und zu gehen. Eine Kirche, die zunächst von Jesus lernt – bevor sie lehrt. Wir alle sind diese Kirche. Wir alle sind Lehrlinge, Schülerinnen und Schüler des einen Lehrers – Christus!

Amen

Pfarrer Ralf Gössl

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