Predigt in der Karfreitagsliturgie

Blick auf Jesus am Kreuz
Blick auf Jesus am Kreuz

Liebe Schwestern und Brüder im Herrn!

Wie viel ist eigentlich der Mensch wert?

Diese Frage habe ich mir in den letzten Tagen und Wochen immer wieder gestellt! Eine Unmenge von Terroranschlägen erschüttert unsere Welt. In Paris und in Brüssel ist die grausame Fratze des Terrors auch in unserer Nachbarschaft bedrohlich sichtbar geworden. Dahinter stehen Verbrecher, für die das Leben des Menschen keinerlei Wert hat!

Wie viel ist der Mensch wert?

Das denke ich mir aber auch, wenn über solche grausamen Ereignisse berichtet wird. 100 Tote, 15 Tote, über 100 teilweise Schwerstverletze heißt es da. Nackte, grausame Zahlen! Aber hinter jeder Zahl steht das Schicksal eines Menschen. Und hinter jeder Zahl steht das Schicksal von vielen anderen Menschen, die um die Opfer bangen, weinen und trauern. Der Mensch ist doch mehr als nur ein Sammelsurium von Zahlen…

Wie viel Wert hat das Leben eines Menschen?

Das ist auch eine persönliche Frage! Wieviel bin ich eigentlich wert – gerade auch dann, wenn ich krank bin, wenn ich unter seelischen oder körperlichen Gebrechen leide oder wenn ich alt bin? Oft bekomme ich es von alten oder kranken Menschen zu hören: „Ich bin doch nichts mehr wert!“

Wieviel ist dir der Mensch wert – Gott? Diese bedrängende Frage kommt auch in uns hoch. Wieviel ist der Mensch Gott wert? Das ist eine Karfreitagsfrage!

Mit dieser Frage nach dem Wert des Menschen schauen wir heute auf den leidenden Herrn. „Ecce homo“ – „Seht, da ist der Mensch“ – so sagt Pilatus und zeigt auf Jesus, der gefoltert und mit der Dornenkrone auf dem Kopf vor ihm steht. „Sie werden auf den blicken, den sie durchbohrt haben“ – so sagt es uns der Evangelist Johannes gegen Ende seiner Passionsgeschichte. Wir sehen also den gegeißelten, verhöhnten, gequälten und hingerichteten Jesus. Und in ihm sehen wir die unzähligen Menschen, die vor ihm und nach ihm ähnliche Schicksale geteilt haben. Eines ist aber doch anders. In Jesus ist Gott selber herabgestiegen in all dieses Elend und hat es selber getragen und durchlitten. Gott selber ist schmerzvoll in eine intensive Berührung gekommen mit der Misere des Menschen.

Das wird auch am zufälligen Datum des Karfreitags 2016 deutlich. Heute ist der 25. März. Ganz selten, dass der Karfreitag auf diesen Kalendertag trifft. Heute in neun Monaten ist Weihnachten. Und wäre heute nicht der Karfreitag, dann würden wir das Fest der Verkündigung des Herrn feiern. Den Tag, an dem Maria Jesus in ihrem Schoß empfangen hat. Weihnachten als Fest der Menschwerdung und Geburt Jesu und der Karfreitag gehören ganz eng zusammen. Gott selber ist Mensch geworden, um unser Leben zu teilen. Dieses Lebenteilen schließt auch den Schmerz und den Tod des Menschen mit ein. Das Holz der Krippe von Betlehem deutet bereits auf das Holz des Kreuzes hin. Es ist der gleiche Jesus, der nackt und hilflos im Holz der Krippe liegt und der genauso nackt und hilflos am Holz des Kreuzes hängt.

Soviel seid ihr Menschen mir wert – so könnte jetzt Gott zu uns sagen! Für euch bin ich Mensch geworden; für euch habe ich als Mensch unter den Menschen gelebt; für euch habe ich Leiden und Tod auf mich genommen; für euch bin ich in die tiefsten Tiefen hinuntergestiegen.

Wie viel ist der Mensch wert?

Diese Frage wird uns auch nach diesem Karfreitag und trotz unseres Glaubens bedrängen! Schließlich sind wir auch als glaubende Menschen ringende und zweifelnde Leute. Wir sind immer wieder auf dem Weg durch die dunkle und antwortlose Nacht. Es gehört zum Karfreitag dazu, dass wir diese antwortlose Nacht mit unseren Mitmenschen teilen. Der Glaube kann dann wie so ein Trotzdem sein. Trotzdem glaube ich an Gott und vertraue darauf, dass er da ist. Für uns selber und für unsere Mitmenschen dürfen wir aus der Feier des Karfreitags einen Vorrat an Hoffnung und Vertrauen mit in unser Leben nehmen. Könnte es vielleicht sein, das dies auch angesichts aller Not, die viele Menschen heute mit dem Glauben oder auch mit der Kirche haben, unsere Berufung ist? Die Berufung, den Menschen im Blick auf den Gekreuzigten diesen Vorrat an Hoffnung, Solidarität und Verteidigung der Menschenwürde anzubieten!?

Wieviel wert ist der Mensch? Wieviel bin ich selber wert?

Schauen Sie doch nachher bei der Kreuzverehrung mit dieser Frage in die Augen des gekreuzigten Jesus. Vielleicht hören Sie dann in Ihrem Herzen SEINE Stimme: Für dich wurde ich als Mensch geboren. Für dich habe ich als Mensch gelebt. Für dich bin ich am Kreuz gestorben. Du bist mir unendlich viel wert!

Amen.

Pfarrer Ralf Gössl

 

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